Rechtsentwicklung

Die Grundlagen

Eine Änderung des Geschlechtseintrags ist in Österreich seit dem Personenstandsgesetz 1983 möglich. Darin heißt es nur lapidar „Die Personenstandsbehörde hat eine Beurkundung zu ändern, wenn sie nach der Eintragung unrichtig geworden ist“ (PStG 1983, §16, derzeit gleichlautend PStG 2013, §41 (1)).

 

Der Transsexuellenerlass 1983 und 1996

Die Bedingungen für die Korrektur des Geschlechtseintrags wurden 1983 im „Transsexuellenerlass“ festgelegt, der im wesentlichen dem Nachfolgeerlass 1996 entspricht. Die Änderung 1996 bezog sich nur auf den Scheidungszwang. Im Erlass von 1983 wurde festgestellt, dass bestehende Ehen mit der Personenstandsänderung eines Partners annulliert sind (BMI 18.7.1983, Zl. 10.582/24-IV/4/83). 1996 wurde verlangt, dass der Antragsteller oder die Antragstellerin nicht verheiratet ist.

In beiden Erlässen war die Voraussetzung für Personenstandsänderungen ein Gutachten des Instituts für Gerichtsmedizin der Universität Wien, welches erweisen musste dass:

  • der Antragsteller oder die Antragstellerin längere Zeit unter der zwanghaften Vorstellung gelebt hat, dem anderen Geschlecht zuzugehören, was ihn oder sie veranlaßt hat, sich geschlechtskorrigierender Maßnahmen zu unterziehen;
  • diese Maßnahmen zu einer deutlichen Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts geführt haben;
  • mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, daß sich am Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nichts mehr ändern wird.

Der Erlass forderte weder Sterilität (wie etwa das deutsche TSG 1980, §8) noch operative Eingriffe. Das Gerichtsmedizinische Institut der Universität Wien, im Konkreten Frau Dr. Friedrich, auf die die Entscheidungskompetenzen übertragen wurden, setzte jedoch ohne jegliche rechtliche Grundlage genitalanpassende Operationen für die Bestätigung der Annäherung des äußeren Erscheinungsbildes voraus.

Von Transfrauen forderte sie die Entfernung des Penis und der Hoden, die Bildung einer Neovagina und Neoclitoris, nicht aber einen Brustaufbau. Transmänner waren zur Entfernung der Gebärmutter, der Eierstöcke und der weiblichen Brust gezwungen. Ein Penisaufbau wurde ihnen (bzw. den Krankenkassen) nicht abverlangt.

In Punkt 4 forderte der Erlass, dass „wegen der Schwierigkeiten der zu beurteilenden  Fragen“ die Landesbehörden die Anträge nach Einholung des „Friedrich-Gutachtens“ dem BMI vorzulegen müssen. Die Entscheidungskompetenz wurde damit bis 2010 an den Bund übertragen.

 

Nach dem Transsexuellenerlass, 2006-2009

Der "Transsexuellen-Erlass" wurde am 8. Juni 2006 durch den Österreichischen Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Er gab damit der Beschwerde von Sandra H. recht, der eine Personenstandsänderung aufgrund ihrer bestehenden Ehe verwehrt wurde. Geschlechtsänderungen sind laut VfGH ohne Berücksichtigung anderer Rechtsbeziehungen – hier der Ehe – korrekt zu beurkunden. Wegen der gesetzeswidrigen Kundmachung des Erlasses hat der VfGH nicht nur den „Scheidungszwangs“ (Punkt 2.4) sondern alle für die Personenstandsänderung von Transsexuellen relevanten Passagen (Punkt 2 und 3) aufgehoben.

Das Innenministerium stellte trotz des Fall des Scheidungszwangs Heiratsurkunden nur für als „Mann“ und „Frau“ bezeichnete Personen aus. Damit wurde der Geschlechstwechsel eines Partners offengelegt. Diese Praxis wurde erst durch den Prozess vom Michelle B. mit dem Verwaltungsgerichtshof-Urteil 2010/17/0042 vom 29.11.2010 gestoppt. Das Innenministerium stellt nun pseudo-geschlechtsneutrale Heiratsurkunden aus, wobei zuerst der (ehem.) Mann und dann die (ehem.) Frau genannt werden.

Nach der Aufhebung des Transsexuellen-Erlasses 1996 gab es keine definitive Regel, unter welchen Kriterien der Geschlechtseintrag geändert werden kann. Der Scheidungszwang und die Begutachtung durch die Wiener Gerichtsmedizin gehören jedenfalls der Vergangenheit an.

Am 12. 1. 2007 schrieb Innenminister Günther Platter den Standesämter in einer internen Weisung vor, Personenstandsänderungen zu genehmigen, wenn die AntragstellerIn ein psychotherapeutisches Gutachten und den Befund der geschlechtsanpassenden Operation vorlegt (BMI, VA 1300/0013-III/2/2007). Damit wurde der Operationszwang erstmals in der Österreichischen Verwaltungspraxis verankert, wobei dank der gewitzten Formulierung der Überschrift (Vorgangsweise nach Durchführung einer geschlechtsanpassenden Operation) dubios blieb, ob sich der Erlass überhaupt auf Personen ohne Operation bezieht. Die Behörden exekutierten jedenfalls auf dieser Basis den Operationszwang, wobei sich offensichtlich auch Unklarheit darüber bestand, welche geschlechtsanpassenden Operation zu fordern ist. Im Februar 2009 konkretisiert das BMI die vorzunehmenden chirurgischen Eingriffe im Sinn der bis 2006 gängigen Praxis (BMI VA 1300/0063-III/2/2009).

 

Der Fall des Operationszwangs 2009

Das erste höchstgerichtliche Urteile zum Operationszwang resultierten aus den Verfahren von Michaela P. Sie beschwerte sich, da ihr, einer jahrzehnte als Frau lebende Person, die Namens- und Personenstandsänderung ausschließlich aus dem Grund verwehrt wurde, da sie sich keiner genitalanpassenden Operation unterzogen hat. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) stellte dazu am 27.2. 2009 (VwGH Zl. 2008/17/0054-8) fest, dass die Beurkundung des Geschlechtswechsels im wesentlichen von der Geschlechtsidentität abhängen muss: „Ist dieses Zugehörigkeitsempfinden aller Voraussicht nach weitgehend irreversibel und nach außen in der Form einer deutlichen Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts zum Ausdruck gekommen, ist der österreichischen Rechtsordnung kein Hindernis zu entnehmen, das eine personenstandsrechtliche Berücksichtigung des für die Allgemeinheit relevanten geschlechtsspezifischen Auftretens hindern würde.“ Dabei stellte der VwGH erstmals explizit fest, „dass ein schwerwiegender operativer Eingriff, wie etwa die von der belangten Behörde geforderte Entfernung der primären Geschlechtsmerkmale, keine notwendige Voraussetzung für eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts ist“ (Urteil, Seite 11). Damit wurde ihr Bescheid wurde „wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben“ (S.12). Michaela P. hat den Operationszwang gekippt.

Das zweite relevante Urteil stammt aus dem Verfahren von Michaela P. bezüglich ihrer Vornamensänderung. Der VwGH stellte dazu am 19. 9. 2009 fest: „Strittig ist allein, ob“ die genitalanpassende Operation erforderlich ist. Er betonte, dass dies „in Hinblick auf die österreichische Rechtslage“ nicht erforderlich ist und gab Michaela P. erneut inhaltlich recht. Ab diesem Zeitpunkt war allerspätestens klar, dass Operationen keine notwendige Voraussetzung für eine Personenstandsänderung sein können.

Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs bat TransX das BMI den Erlass von 2009 zurückzuziehen. Das BMI antwortete mit der Erklärung, dass der Erlass nur sagt, dass bei den genannten Operationen eine nähere Prüfung des Identifikationsgeschlecht für die Personenstandsänderung unterbleiben kann. Eine diesbezügliche Parlamentarische Anfrage beantwortete das BMI analog.

Dieser Rechtsauffassung schloss sich der VfGH am 3. 12. 2009 (B 1973/08-13) in dem Urteil zu Monique D., einer nicht-operierten Transfrau, der die Namens- und Personenstandsänderung unter Berufung auf das Schreiben des BMI von 2007 verwehrt wurde, an. Er stellte fest: „Voraussetzung für die Änderung des Geschlechtseintrags im Geburtenbuch ist keineswegs eine (genitalverändernde) Operation, wie die beschwerdeführende Partei dem ‚Schreiben Transsexualität’ zu entnehmen vermeint“ (S. 8). Er gab Monique D. nur insofern Recht, als sie „durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden“ ist, da sich die Behörde hier insofern willkürlich verhalten hat, weil sie angebrachte „Ermittlungen unterlassen“ hat (S.10).

Moniques Urteil mahnte die Behörden bei entsprechenden Anträgen die „materielle Wahrheit“ des Geschlechts zu prüfen, was zur BMI-Empfehlung betreffend amtswegiger Erhebungen von Entscheidungsrelevanten Fragen vom 8. März 2010 führte (BMI-VA1300/0112-III/2/2010).

Es ist bemerkenswert, dass beiden klagenden Transfrauen trotz der Oberstgerichtlichen Urteile vom BMI erneut ablehnende Bescheide zur Personenstandsänderung ausgestellt wurden. Damit verhöhnt die Verwaltungsbehörde nicht nur die Menschrechte Transsexueller, sonder auch die Österreichs Rechtsstaatlichkeit (§63 VwGG). Erst nach Öffentlichkeitsarbeit und Amtsmissbrauchsbeschwerden wurden die Personenstandsänderungen von Michaela P. und Monika D. im März 2010 bestätigt. 

 

BMI-Repositionierung 2010

Mit dem Schreiben vom 11. Mai 2010 hat das BMI die Erlässe zwischen 2007 und 2010 aufgehoben die Kompetenz für die Personenstandsänderung wieder den Ländern übertragen. Die Kriterien für die Personenstandsänderung blieben dubios, der Operationszwang ist aber endgültig überwunden (siehe Personenstandsänderung).

 

Europäische Entwicklung

Im letzten Jahrhundert kämpften Transsexuelle vor allem um die Ermöglichung der Personenstands- und Namensänderung. Zur Jahrhundertwende war dies – mit kleinen Ausnahmen wie Irland - weitgehend realisiert, allerdings wurden Personenstandsänderungen nur nach genitalanpassenden Operationen gewährt. Dies änderte sich im letzten Jahrzehnt:

In Ungarn müssen Transsexuelle nur eine psychologisch / psychiatrische Bestätigung vorweisen. Dann werden Geschlechtseintag und Vorname geändert. Wir wissen, dass diese Regel zumindest seit 2002, vermutlich aber schon davor praktiziert wurde. Die Verwaltung des postkommunistischen Ungarns war nicht so schäbig, den Betroffenen zwischen die Beine schauen zu wollen.

In Finnland wurde der Operationszwang 2002 abgeschafft. Neben einer psychologischen Abklärung verlangt das „laki transseksuaalin sukupuolen vahvistamisesta“ (563/2002) zwar explizit Infertilität, diese wird aber nach eine Hormontherapie von mindestens einem halben Jahr als gegeben erachtet.

In Großbritannien konnten die Vornamen schon immer frei gewählt werden. Transsexuelle erhielten Ausweise mit passendem Geschlechtseintrag. Nach der Gender Recognition Bill wird seit 2004 auch die Geburtsurkunde korrigiert, wenn die Antragsteller als TS diagnostiziert sind, zwei Jahre in ihrem Identitätsgeschlecht gelebt haben und eidesstattlich erklärten, nicht mehr in ihr Ursprungsgeschlecht zurück wechseln zu wollen. Medizinische Eingriffe sind nicht vorgeschrieben.

In Spanien wird nach dem neuen Gesetz von 2007 ("Ley de Identidad de Género") der Geschlechtseintrag Transsexueller nach einer zweijährigen medizinischen Behandlung geändert. Operationen sind nicht notwendig.

Mit der 2007'er Novelle des Passgesetzes können in Deutschland Transsexuelle nach Vornamensänderungen schon Pässe beantragen, in denen das gelebte Geschlecht ausgewiesen wird. Ein expliziter Operations- und Sterilitätszwang ist für Personenstandsänderungen blieb aber im TSG weiterhin verankert.

In Österreich werden infolge des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs vom Februar 2009 Personenstandsänderungen auch ohne Operationen vorgenommen.

Im Jänner 2011 fällt in Deutschland durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtshofs der Operationszwang.

In Portugal wird seit 15. März 2011 der Personenstand bei einer durch ein ärztlich-psychologisches Team diagnostizierten Geschlechtsidentitätstörung geändert.

Das Zürcher Obergericht entscheidet im ersten Quartal 2011, dass ein operativer Eingriff als Voraussetzung zur Personenstandsangleichung und Vornamensänderung die Persönlichkeitsrechte verletzen. Die Entscheidung des Kantons hat Musterwirkung für die gesamte Schweiz.

Der Römische oberste Gerichtshof kippt im März 2011 den Sterilisationszwang für Italien. Das TS-Gesetz von 1982 ist damit überholt.

In Island werden seit 27. Juni 2012 Personenstand und Name geändert, wenn die Betroffenen mindestens 18 Monate im Wunschgeschlecht gelebt haben und Transsexualität (ICD F64.0) diagnostiziert wurde. Das neue Gesetz kennt keinen Scheidungs-, Sterilisations- oder Behandlungszwang. Die Personenstandsänderung wurde eine Vorraussetzung für genitalanpassende Operationen.

Aus Frankreich, wo Gerichte über Personenstandsänderungen entscheiden, werden immer mehr positiv Urteile ohne OP bekannt. Einen Rechtsanspruch haben die Antragsteller nicht.

Mit 1. Juli 2014 tritt in Holland ein Gesetz in Kraft, das lediglich Informiertheit und die dauerhafte Überzeugung der Betroffenen, dem Wunschgeschlecht anzugehören, als Bedingung für die Personenstandsänderung verlangt. Medizinische Eingriffe und Hormonbehandlung sind keine Bedingungen mehr.

Am 11. Juni 2014 beschließt Dänemark ein Personenstands nach Argentinischem Vorbild. Es verlangt weder medizinischen Eingriffe, psycho-psychiatrische Atteste noch Scheidungen. Über 18-jährige können nach einer halbjährigen Wartefrist ihren Geschlechtseintrag ändern.

Im April 2015 beschließt Malta ein Gesetz, demzufolge Geschlechtswechsler lediglich notariell erklären müssen, dass das registrierte Geschlecht der Geschlechtsidentität nicht entspricht. Medizinische und psycho*-Behandlungen dürfen nicht verlangt werden. Bei Minderjährigen entscheidet ein Zivilgericht über den von den Erziehungsberechtigten eingebrachten Antrag. Abs. 3 deklariert: „Alle Bürger Maltas haben das Recht (…) ihre Person entsprechend ihrer Geschlechtsidentität frei zu entwickeln.“

Ab September 2015 werden in Irland bei Erwachsenen Personenstandsänderungen allein auf Antrag vorgenommen. Für 16- und 17-Jährige ist noch eine Diagnose erforderlich. Die TG-Gruppe TENI hat ganze Arbeit geleistet.

Im Juni 2016 beschließt Norwegen die selbstbestimmte Änderung des Geschlechtseintrags.

 

Aktuelle Diskussion

Nach dem Urteil des VwGH vom Februar 2009 lud TransX im Juni alle österreichischen TG-Initiativen zur Formulierung eines Entwurfs für zukünftige Personenstandsänderungen ein. Mit überraschend starker Übereinstimmung sprachen sich alle Gruppen für das gelebte Geschlecht als einziges passende Kriterium für den Personenstand aus. Dieses Positionspspapier war die Grundlage unserer nunmehr abgebrochenen Verhandlungen mit dem BMI (2010-2013). Mit allen anderen TG-Gruppen fordern wir die freie Vornamensänderung und die Personenstandsänderung aufgrund des gelebten Geschlechts, nicht aber aufgrund dubioser, patholigisierender Gutachten. Das BMI bestand dagegen – abgesehen von kleineren Änderungen - auf die Kriterien des Erlasses von 1996 (d.h. zwanghafte Vorstellungen, irreversible Störung, Maßnahmen zur Anpassung des äußeren Erscheinungsbilds).

 

 

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