Empfehlungen für den Behandlungsprozess Transsexueller in Österreich
Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bedeuten in jedem Fall schwerwiegende und meist irreversible Eingriffe an einem an sich gesunden Körper. Um sicherzustellen, dass die Entscheidung, sich diesen Eingriffen unterziehen zu wollen reiflich überlegt und spürbar stimmig ist, wurden Bedingungen für medizinische Behandlungen empfohlen. Sie sollen einerseits Reuefälle verhindern und andererseits die Behandelnden gegen allfällige Vorwürfe der Körperverletzung absichern.
Ende Juli 2014 hat das Gesundheitsministerium seine davor gültigen Empfehlungen von 1997 revidiert. Im Februar 2015 erschien bereits die 4. Revision
in der auch ein wenig auf die Kritik von TransX eingegangen wurden.
Diese Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend. In der Präambel wird auch betont, dass ihre Einhaltung für die „Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung" irrelevant ist (S. 2). Allerdings verlangen manche Krankenkassen für Kostenübernahmen die Erfüllung der Empfehlungen.
Wesentliche Elemente sind:
Der diagnostische Prozess
zur Feststellung der Geschlechtsdysphorie bzw. der Transsexualität erfordert eine (1) psychiatrische, (2) klinisch-psychologische und (3) psychotherapeutische Diagnostik.
Hierbei wird auf die Diagnosen nach DSM 5 und ICD 10 verwiesen. Zudem wird die „Feststellung” verlangt, „dass die Geschlechtsdysphorie bzw. Transsexualismus ohne Behandlung aus heutiger Sicht mit sehr großer Wahrscheinlichkeit als dauerhaft eingestuft werden kann”. Dieses Diagnosekriterium ist eine groteske österreichische Novität! Es wäre keine Diskriminierung von TG-Personen, sofern auch Therapien von Depressionen oder Lungenentzündungen nur erfolgten, wenn eine Besserung ohne Behandlung unwahrscheinlich ist.
Über die Einzeldiagnosen ist ein Konsensbeschluss der Psy*s herzustellen. Die Ergebnisse sind von der/m vom Klienten bestimmteN FallführendeN in einer Stellungnahme zusammenzufassen.
Klinisch-psychologische oder psychotherapeutische Behandlung
Basierend auf der Diagnose erstellt die/der Fallführende eine konsensuelle Indikationsstellung für medizinische, klinisch-psychologische oder psychotherapeutische Behandlung „entsprechend dem Ausmaß des individuellen Leidenszustands”. Die Therapien sollen aber auch der Prolongation des diagnostischen Prozesses dienen. Längere Therapien fallen zukünftig auch insofern an, als die Behandlung aller „koexistenter psychischer, sozialer und/oder somatischer Störungen … angezeigt” ist (Pt. 3). Dafür wurde das 50-Stunden Zwangskorsett der Empfehlungen von 1979 gesprengt.
Medizinische Behandlungen
Für Hormonbehandlungen und geschlechtsanpassenden Operationen ist jeweils
- eine klinisch-psychologische oder eine psychotherapeutische Stellungnahme sowie
- eine psychiatrische Untersuchung
erforderlich.
Für die Hormontherapie sind zudem „eine urologisch-gynäkologische Untersuchung und ein Risikoscreening hinsichtlich möglicher Kontraindikationen“ erforderlich. Eine zytogenetische Untersuchung kann bei Verdacht auch Intersexualität indiziert sein.
Die Stellungnahmen sind nur ein Jahr gültig (S. 2). Offensichtlich wird ihnen nicht viel Aussagekraft zugebilligt. Warum Transgenders zum rascheren Operieren gedrängt werden, ist nicht nachvollziehbar.
Parallel zur Hormontherapie „ist die klinisch-psychologische oder psychotherapeutische Behandlung nach Bedarf fortzusetzen, bei der es auch um die Begleitung der „real life experience” (Leben in der angestrebten Geschlechtsrolle) geht.”
Die Hormontherapie „erfolgt in der Regel über den Zeitraum eines Jahres” bevor genitalchirurgischen Eingriffen vorgenommen werden. Eine Entfernung der Brüste (Mastektomie) ist auch ohne Hormontherapie möglich sein.
Behandlung personenstandsrechtlicher Aspekte?
Der Exkurs der Behandlungsempfehlungen enthält auch einen Abschnitt zur Personenstandsänderung. Die Verknüpfung rechtlicher und medizinischer Maßnahmen ist geschmacklos. Eine schlichte Kompetenzüberschreitung ist, dass das Gesundheitsministerium hier den Standesämtern empfiehlt, welche Indizien für die Prüfung eines Geschlechtswechsel heranzuziehen sind und dass hiefür die Stellungnahmen von Fachärzten - also medizinische Diagnosen - vorzulegen sind. Demnach reicht die vom BMG definierte Diagnose zusammen mit der „Mitteilung, dass sich das äußere Erscheinungsbild der gewünschten Geschlechtsrolle deutlich angenähert hat.”
Auf unsere Anfrage hat das BMI im Dezember 2014 erklärt, dass für Personenstandsänderungen nur dir Kriterien des Verwaltungsgerichtshofs (2009, Zahl 2008/17/0054) relevant sind, denen die den damaligen BMG-Empfehlungen so irgendwie entsprachen. Nach der Revision von Februar 2015 stimmt Letzteres sicher nicht mehr.
Würdigung der Empfehlungen
Die SoHo stellte fest: „Diese neuen Behandlungsempfehlungen sind ein weiterer Schritt auf dem Weg zu den von der SPÖ versprochenen Lebenserleichterungen für Transgenderpersonen“.
Wir halten diese wohl z.T. von einer anonymen, „interdisziplinären Expertinnen- und Expertengruppe unter Einbindung des (…) Innenministeriums“ erarbeiteten Österreichischen Empfehlungen für entbehrlich. Schließlich gibt es die international anerkannten "Standards of Care for the Health of Transsexual, Transgender and Gender Noncoforming People" der WPATH (World Professional Association for Transgender Health), an denen sich Fachärzte besser orientieren können. Diese Behandlungsrichtlinien sind informativer und differenzierter als die Österreichischen Empfehlungen und bieten auch Orientierung für die Behandlung Minderjähriger – ein Vorhaben, das unsere Experten zurückgestellt haben.
TransX hat das Ministerium gebeten die österreichischen Empfehlungen zurückzuziehen. Unsere Kritik wurde leider nur zum Teil berücksichtigt ( mehr dazu). Die Empfehlungen bleiben dank des Vorliegens internationaler Empfehlungen eine provinzielle Groteske.
Downloads & Links
Zuletzt gültige Österreichische Behandlungsempfehlungen von 1979
und die TransX - Positionen hiezu